Sung Tieus Installation „Multiboy“ in der Galerie für Zeitgenössische Kunst Leipzig

Ein Gefühl der Verlorenheit in der Gegenwart

 

Was ist ein Multiboy? Wer in der DDR aufgewachsen ist, weiß das vielleicht noch. Das ist das elektrische Ding in Form eines handlichen Blumenübertopfes, nur mit einem durchsichtigen Plastikbecher als Schutzhülle vor dem sich in Betrieb drehenden Hackmesser obendrauf. Der Lebensmittelzerkleinerer schlechthin, ein unentbehrlicher Helfer in Mutters Küche und gerade deswegen so begehrt. Hergestellt im VEB Elektromaschinenbau Dresden.

Für die Künstlerin Sung Tieu, geboren 1987 in Nordvietnam, ist ein Multiboy ein Vertragsarbeiter, so wie ihr Vater, der noch vor der Wende in die DDR kam. Einer von zehntausenden Vietnamesen, die nach dem ersten Anwerbeabkommen zwischen den beiden Bruderstaaten, geschlossen 1980, in hunderte DDR-Betriebe kamen, als so dringend gebrauchte, doch billige Hilfskräfte. Einer, der solche Dinge wie einen Lebensmittelzerkleinerer zusammensetzte. Und dann, als die Mauer fiel, nicht wusste wohin, ohne die Arbeit in den nun plötzlich unproduktiven Betrieben, ohne Heimat, ohne Zukunft. Auch ohne ausreichende Sprachkenntnisse, weil ihm, anders als seinen Landsleuten fünf Jahre zuvor weder eine Facharbeiterausbildung noch Unterricht in Deutsch als Fremdsprache zuteilgeworden war. Einer, der wie auf Sung Tieus Einladungsblatt zur Ausstellung in der Galerie für Zeitgenössische Kunst (GfZK) Leipzig, breitbeinig, mit erhobenen Armen, an einer Wand steht, wie bei einer Polizeikontrolle. Ein Mann mit multikulturellem Hintergrund, der sich plötzlich illegal im Land aufhält, aus der Not heraus mit allem handelt, das sich gewinnbringend verkaufen lässt.

Für Sung Tieu, die 1992 als Kind mit ihrer Mutter nach Freital in Sachsen kam, später Kunst an der Hochschule für Bildende Künste in Hamburg, am Goldsmiths College und an der Royal Academy of Arts in London studierte, bedarf es eines Schutzraumes für diese Menschen.

 

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